Zukunft der Automobilindustrie – wider die orwellschen Phantasien. Heinrich-Böll-Stiftung sagt Veranstaltung ab.

Während die Autoindustrie vorgibt, auf E-Mobilität zu setzen, weiß jeder vernünftig denkende Mensch, dass das keine ökologische Alternative ist und auch nicht klappen kann. Eine soziale Alternative wäre E-Mobilität schon gar nicht, weil viel weniger Arbeit (-splätze) benötig wird und weil das Auto zugleich wesentlich teurer werden würde. Das vorgebliche Konzept der Autoindustrie ist zum Scheitern verurteilt, weil es an den realen Bedürfnissen der Menschen vorbeigeht, weil es ausschließlich unter dem Primat der Profitmaximierung geplant wird. Benötigt würden kleine City-Fahrzeuge mit einer Reichweite bis zu 200 Kilometern und einer maximalen Geschwindigkeit von 80 bis 90 km/h. Gebaut werden sollen aber tonennschwere SUV’s mit einer Reichweite von mindestens 500 Kilometern und Höchstgeschwindigkeiten von um die 200 km/h, bestückt mit weiterem überflüssigen, teuren elektronischem und digitalem Schnickschnack. Gebaut werden schon Autos mit 1.500 PS und Höchstgeschwindigkeiten von über 400 km/h (Bugatti Chiron).

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat einen Workshop etabliert, in dem Wissenschaftlerinnen, Gewerkschafterinnen und Politikerinnen über die Krise und die Zukunft der Automobilindustrie nachdenken; am 25. November wird der nächste größere Workshop dazu stattfinden. http://www.bw.rosalux.de/publikation/id/37696/der-berg-kreisste-und-gebar-nicht-mal-eine-maus/ http://nds.rosalux.de/publikation/id/37392/ruestungskonversion-und-alternative-produktion/

Die Heinrich-Böll-Stiftung (Stiftung Leben und Umwelt) hat jetzt eine Veranstaltung abgesagt, die heute (26.9.2017) in Braunschweig stattfinden sollte: „Arbeit | Auto| Autonomie – Mobilität und Arbeit im Wandel“. Den Impulsvortrag sollte Chief Digital Officer (CDO) der Volkswagen AG, Johann Jungwirth halten: „Neuerfindung der Mobilität, disruptiver Wandel und Vollautonomie“.

Vielleicht reicht das ja schon als Grund für die Absage: der großspurige Titel des Vortragenden (CDO), der alle Duzen möchte und „JJ“ genannt werden will sowie der großspurige Titel des Vortrages: Die Neuerfindung der Mobilität. Großspuriger geht es kaum noch! Nun wäre dieser Vortrag heute in Braunschweig keine Premiere gewesen, beim Genfer Autosalon im März 2016 (https://www.volkswagenag.com/de/news/2016/3/t_Digitalisierung.html) und  August 2017 im Wolfsburger Phaeno – und häufig noch zwischendurch mussten sich Menschen dessen „Visionen“ anhören vom digitalen Land, der digitalen Stadt und dem digitalen Menschen, die radikale Losung „Alles für Alle“ missbrauchend: Internet, Smartphone, Meinungsfreiheit, Wissen, Bildung, Zeit und globale Vernetzung für alle als Geschenk von Volkswagen: Der ehemalige Apple Manager erläuterte die digitale Transformation, die die Lebensqualität verbessern soll. Nachhaltigkeit, Urbanismus und die Digitalisierung verlangen „visionäre Entscheidungen“. Dieser ansteckende Optimismus infizierte alle Zuhörer. Die digitale Revolution hat die Mobilität erreicht – so berichtet das Museum dazu auf seiner eigenen Seite.

Schauen wir uns den abgesagten Vortrag von Jungwirth etwas genauer an. Paternalistisch erklärt er, vielen von uns sei noch gar nicht bewusst, in welch historisch bedeutender Zeit wir leben. Auto und Mobilität würden jetzt neu erfunden. Das sei natürlich ein gesellschaftlicher Fortschritt, geradezu eine Revolution und erhöhe unsere Lebensqualität. Solche Menschheitsprobleme wie Parkplatznot, Staus und Stress würden bald der Vergangenheit angehören, weil autonome Fahrzeuge selbständig parken könnten und viel Fläche dadurch frei würde: Ein Segen für die Infrastruktur unserer Städte. Dann blitzt kurz die neue Renditeerwartung auf, die er impertinent mit einem Solidaritätsappell verbindet: „Oder schauen Sie sich an, wie wir heute mit den Schwächsten unter uns umgehen, den Alten, Kranken, Blinden, Kindern. Sie müssen weite Strecken mühsam zu Fuß, teilweise mit Rollator zu ÖPNV-Haltestellen gehen oder sich teure Taxis nehmen.“ JJ droht mit Abhilfe: In der neuen Mobilitätswelt werden alle Menschen eingebunden: „Wir werden sie bequem und beschwerdefrei von Tür zu Tür transportieren – mit Mobilität auf Knopfdruck oder auf Sprachbefehl: mein Audi, bitte hole mich ab, mein Volkswagen, ich bin ready.“ Das ist Lebensqualität, wie JJ und sein Unternehmen sich das vorstellen, so planen sie unsere Zukunft. „Können Sie sich vorstellen, wie dankbar uns diese Menschen sein werden?“ Dann kommt die Katze aus dem Sack: „ Zudem öffnet sich hier ein riesiger Markt, der bisher brach liegt.“ Gut 12 Milliarden Euro nehmen die Nahverkehrsbetriebe in Deutschland pro Jahr an Fahrgeldern ein.

Weitere Vorteile, die Jungwirth ungeniert preist, bestehen darin, dass bis zu 1,25 Millionen Menschenleben gerettet werden können, die jedes Jahr im Straßenverkehr sterben; dass „jedem einzelnen hier im Raum“ 37.668 Stunden zurückgeschenkt werden – die Zeit, die „jeder Mensch im Schnitt in seinem Leben im Auto verbringt“. Es liegt im am Herzen, beteuert er, „dass unsere Kinder ein besseres, sichereres, entspannteres, stressfreieres und schöneres Leben haben als wir selbst.“ Angesichts der Kinderarmut in unserem Land und der verhungernden und vor Krieg fliehenden Millionen Kinder rund um den Erdball eine geradezu zynische Sichtweise. Aber er steigert sich: Volkswagen bietet sich die Chance, „das Leben auf unserem Planeten Erde deutlich zu verbessern, die Erde in einem besseren Zustand zu verlassen, als wir sie angetroffen haben.“ Gegen die Zweifler muss natürlich vorgegangen werden, mit „allen Mitteln“ seien „die Mutigen, die Kühnen, die Vordenker und Erfinder der aktuellen Zeit zu unterstützen.“ Er nennt und lobt die Heiligenbilder (Ikonen) der Neuzeit, den VW Golf, den Audi A5 oder „natürlich den Porsche 911. Da läuft uns allen das Wasser im Munde zusammen.“

Ein letztes Beispiel für den Wahnsinn, der von solchen Leuten und solchen Unternehmen verbreitet wird: „Selbstverständlich gehören perfekte Konnektivität der Fahrzeuge mit der Cloud, eine nahtlose Experience mit den Kunden-Smartphones sowie Smart Home zu den Best in Class digitalen User Experience dazu, und genauso Over-the-Air Software Updates und Upgrades, welche unsere Fahrzeuge immer auf dem neuesten Stand halten und den Kunden neue Services bieten. Das Fahrzeug wird zu unserem besten Freund oder Freundin, der wir einen Namen geben, die uns versteht, die mit uns spricht, unser Verhalten und unsere Vorlieben lernt und unsere Gedanken lesen kann um uns perfekt zu unterstützen.“

Angesichts solch unmenschlicher und gefühlloser Zukunftspläne begrüße ich es sehr, dass die Heinrich-Böll-Stiftung diese Veranstaltung abgesagt hat. Nun besteht die Aufgabe, der wir uns gestellt haben darin, tatsächliche und gangbare Schritte auf dem Weg einer sozialökologischen Transformation der Automobilindustrie zu definieren. Es geht dabei um solche Schritte, die auch die hunderttausenden Beschäftigten nachvollziehen und mitgehen können – von alternativen Produkten im Verkehrsbereich und anderen volkswirtschaftlichen Sektoren bis hin zu einer radikalen Arbeitszeitverkürzung. Aber daran arbeiten wir noch – und alle sind herzlich eingeladen, mit zu arbeiten, damit die Horrorvorstellungen eines Chief Digital Officer von Volkswagen nicht Wirklichkeit werden. George Orwell würde ich im Grabe umdrehen.

http://calendar.boell.de/de/event/arbeit-auto-autonomie-mobilitaet-und-arbeit-im-wandel

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